Lernen und Lehren
Zentrales Anliegen jedweden Unterrichtens ist das Lernen.
Lernen auf neuropsychologischer Ebene
- erfolgt durch Bildung von Vernetzungen zwischen Nervenzellen und das Verstärken von Synapsen
Lernen und Können:
- Vernetzung von Nervenzellen
- dem stärken der synaptischen Verbindungen zwischen Nervenzellen
- Für alles Gekonnte gibt es eine Repräsentation im Gehirn. Je nach Komplexität aus einigen oder vielen Nervenzellen.
Verschiedene Lernformen:
- klassische Konditionierung
- instrumentelle Konditionierung
- Lernen durch Versuch und Irrtum
- Lernen durch Einsicht
- Lernen durch Nachahmung und Identifikation
Lernen und Yoga (Unterrichten)
- Neu zu lernendes braucht Wiederholung und Übung
-> Bildung von Repräsentationen im Gehirn in Form von Nervenzellverbindungen und entsprechenden Synapsenstärken
-> nicht jede Stunde ein völlig neues Programm erstellen, vielmehr Raum zum Wiederholen und Vertiefen lassen - Nervenzellen gehen mit anderen Nervenzellen Verbindungen ein (Nervenzellen-Netzwerke). Diese Verbindungen nennt man Synapsen
Etwas wird dazu gelernt
- bereits vorhandene Repräsentationen, Nervenzellnetze werden genutzt, wenn etwas dazugelernt wird
-> einfacher als etwas komplett neu zu lernen
Etwas wird völlig neu gelernt
- Nervenzellnetz im Gehirn und Repräsentationen müssen völlig neu aufgebaut werden
-> erfordert Energie = anstrengend
-> behutsames und angepasstes Vorgehen im Unterricht - große Sorgfalt: bei Neueinführung ist große Sorgfalt auf Stimmigkeit zu legen!
- Wird zu Beginn etwas falsch abgespeichert, so wird folgendes daran angeknüpft!
Gewohnheiten, Denk- und Verhaltensmuster
Hebbsche Lernregel: “Cells that fire together, wire together.”
- in der Vergangenheit Gelerntes ist in Form von Repräsentationen im Gehirn verankert
- Muster im Verhalten entsprechen Mustern (Repräsentationen im Gehirn)
- es ist kontraproduktiv dagegen anzukämpfen, da jegliche Beschäftigung mit dem Gegenstand die Aktivität einer Synapse und damit ihre Stärke erhöht => weitere Konsolidierung
Umgang mit Mustern aus neurologischer Sicht
- Repräsentationen von Gewohnheiten >aushungern< lassen
- neue positive Gewohnheiten entwickeln, die Freude bereiten und emotional bereichern
=> alte Repräsentationen durch Nichtaktivieren schwächer werden lassen - etwa 1500 Wiederholungen sind notwendig, um eingefleischte Schonbewegungen durch physiologisch sinnvollere zu ersetzen
Bezug zur Yogaphilosophie
- jede Bewegung im Geist (Wort, Tat, Gedanke, Gefühl- bewusst und unbewusst), hinterlässt in ihm einen Eindruck
- Jede Wiederholung einer bestimmten Geistbewegung (>vrtti<), führt zur Vertiefung des Eindrucks, wie auch dieser die Neigung des Geistes verstärkt, diese Bewegung zu wiederholen
- Die Konsequenzen früheren Handelns (durch Worte, Taten, Gedanken), werden so zu Ursachen zukünftiger Verhaltenstendenzen in diesem, oder in zukünftigen Leben (>karma<). (Borchard, A. Unger, C.: Der Weg des Yoga, BDY, S.270)
Moderne Gehirnforschung und Yoga
- Achtsamkeit ist der Schlüssel, um Muster zu entdecken, die die Ursache für ernste Probleme sind
- Bsp.: Lösen von Leid erzeugenden Identifikationen, die bewusst oder unbewusst mitschwingen: “Ich bin nicht gut genug.”, ” Ich bin nicht liebenswert.”, “Ich bindas oder jenes.”, “Ich bin das oder jenes nicht.”
- Wachsende innere Achtsamkeit führt zu einem Dekonditionierungsprozess
- Merke: Nicht nur Verhaltensweisen führen zu Repräsentationen im Gehirn, sondern im gleichen Maß auch Gedanken und Gefühle!
- Wird Achtsamkeit auf einem oder mehreren Gebieten “trainiert”, erhöht sich ihre Repräsentation im Gehirn
-> das Praktizieren von Achtsamkeit wird immer leichter
Neuropsychologische Erkenntnisse und Patanjali
- Durch beharrliches Üben (abhyasa) und Gleichmut (vairagya), kann die dynamische Stille cittas (des meinenden Selbst) erreicht werden (Sriram Yoga Sutra 2003, S.34)
- vairagya auch >loslösen<, >loslassen<
- >abhyasa< und >vairagya< = Schlüsselbegriffe für die Bildung neuer und Auflösung alter Repräsentationen
Essenz
- Je mehr man gelernt hat, desto größer das Wissen ist, desto mehr Anknüpfungsmöglichkeiten gibt es, desto leichter fällt zukünftiges Lernen.
- Lernen ist demnach ein sich selbst verstärkender Prozess (Matthäus-Prinzip: Wer hat, dem wird gegeben).
- Ernsthaftes Bemühen führt zur Veränderung.
Kognitive Kompetenzen: Kenntnisse
Standbeine der Unterrichtsvorbereitung:
- asana, pranayama, Meditation, Entspannung, Philosophie, Unterrichtsgestaltung, Didaktik, Methodik
- Fähigkeit der systematischen Vorbereitung
- Kenntnisse der Anatomie, Physiologie und Psychologie mit gängigen Krankheitsbildern
- Kenntnisse der wesentlichen Yogaschriften und Traditionen
Persönliche Kompetenzen: Persönlichkeitsstruktur
- Kognitive Fähigkeiten sind leicht zu erlernen, schwieriger ist es bei den personalen Fähigkeiten
- Kann ich YogalehrerIn sein, wenn ich alles über Meditation, pranayama etc. weiß, mich aber nicht selbst auf den Yoga-Weg gemacht habe?
- Was bedeutet es auf dem Yoga-Weg zu sein?
-> achtgliedriger Pfad der Yoga Sutras von Patanjali, Kapitel 2.29 ff.
-> eigenes Üben – asana, pranayama, Meditation, geprägt von abhyasa und vairagya, sich den yamas und niyamas verpflichtet fühlen
-> Grundlage von allem: stetes Bemühen um Achtsamkeit, um so dem Yoga mehr Raum im Leben einzuräumen - Authentizität: den Yoga-Weg glaubwürdig zu vermitteln, bedeutet den Yoga-Weg wahrhaftig zu leben = Kongruenz
-> Echtheit im Unterrichten
-> authentische Lehrperson - >satya<, Wahrhaftigkeit, Ehrlichkeit, Echtheit (yamas)
- >svadhyaya<, konstruktives Selbsstudium, Selbsterkenntnis, achtsame Grundhaltung, in einem inneren Gewahrsein sich selbst gegenüber schulen (niyamas)
Pädagogische Kompetenzen: Umgang mit den TeilnehmerInnen
- Wesentliches Anliegen: Akzeptieren und Achten der TeilnehemInnen in ihrer ganzen Persönlichkeit
- vorurteilsfreie Annahme, ohne sie einzuteilen nach bewertenden Kategorien
- niemanden vorzuziehen oder zu benachteiligen
=> Atmosphäre von ahimsa (ermöglicht stressfreies Arbeiten und Wachstum)
Intrinsische Motivation
- TeilnehmerInnen in ihrem So-Sein akzeptieren
- Lehrperson kein allwissender Guru, der für alle Probleme und Sorgen fertige Lösungen anbietet -> vielmehr für den Schüler/die Schülerin einen Erfahrungsweg zur vorurteilsfreien Selbsterforschung und Raum zum Finden eigener Lösungswege bereiten
- Mit der Yoga-Ausbildung habe ich die Kompetenz erworben Yoga zu unterrichten, nicht aber auch automatisch die eines Therapeuten, Arztes, Heilers, oder Gurus.
Emotionale Kompetenzen: gefühlsmäßige Zuwendung zu den TeilnehmerInnen
- liebevolle Zuwendung im Sinne von maitri
-> lässt emotionale Wärme entstehen und bei den TeilnehmerInnen ein Gefühl von Geborgenheit
-> fördert das Lernen und das Wachsen
-> in der Begegnung
-> beim Anleiten von Übungen (liebevoll, nicht besitzergreifend, nicht bevormundend, nicht urteilend, nicht egozentrisch)
Empathie – einfühlendes Verstehen
- Innere Haltungen zu erschaffen braucht ernsthaftes Bemühen (tapas). Sie lassen sich nicht verbergen und zeigen sich in:
- jeder Anleitung
- Stimmlage
- Lautstärke
- Wortwahl
- Satzbau
- Betonung
- Körperhaltung
- Gestik
- Mimik
Zusammenhang der Kompetenzen einer Lehrperson
- Alle Kompetenzen überschneiden sich.
- Das Wissen (kognitive Kompetenz) um die Zusammenhänge ist die Voraussetzung dafür:
- sich mit diesen inneren Einstellungen auseinanderzusetzen (svadhyaya)
- daran zu arbeiten (tapas)
- zum Wohle der TeilnehmerInnen im Sinne einer Hingabe an ein höheres Ziel (ishvara pranidhana)
- Am wirkungsvollsten ist das Arbeiten auf allen Ebenen zugleich => Verstärkung